Sie hatte einen ganz geregelten normalen Arbeitstag ohne besondere Vorkommnisse. Dennoch fiel ihr heute besonders auf, wie gut organisiert und routiniert sie war und wie viel sie „nebenbei“ erledigte.

Ohnehin viel ihr heute erst auf, wie oft Kollegen kamen und fragten, ob sie mal eben schnell dies oder das mit erledigen könne oder nur kurz die Nummer oder jene Adresse herausfinden könne. Sie hatte das nie in Frage gestellt. Im Gegenteil sie hatte das sogar immer gerne erledigt. Dass sie als zuverlässig galt und als „Organisationstalent“ gelobt wurde, freute sie. Doch wenn sie jetzt so darüber nachdachte, wunderte sie sich zum ersten Mal, wieso eigentlich alle zu ihr kamen; sie war ja keine Sekretärin….

Nachdem sie in der Früh ihre Dankesliste immer wieder ergänzt und jedes Mal wieder weg gepackt hatte, notierte sie einen weiteren Punkt und lies ihren Block nun einfach auf ihrem Schreibtisch liegen. Sie fand immer wieder scheinbar kleine Dinge – vor allem solche, die ihr bis dahin selbstverständlich waren, dass sie sie erledigte und alles geregelt bekam. Ohne jedes Bewusstsein dafür, dass das vielleicht gar nicht selbstverständlich war. Das Lob, daß sie sich von ihren Vorgesetzten wünschte, gab sie sich also noch nicht einmal selbst. ´Seltsam wie man funktioniert´, dachte sie sich ´und sich dann auch noch ärgert über das, was man mal nicht mehr schafft, oder was vielleicht auch einfach schlichtweg zu viel ist und gar nicht besser zu machen ist´.
Sie beschloss in dieser Beziehung ab sofort achtsamer zu sein und ihre Dankesliste einfach mal über eine längere Zeit zu führen. Sie spürte ja jetzt schon, wie sehr das ihren Blickwinkel und ihr eigenes Denken über Ihr Tun und Wirken veränderte. 

Immer wieder kamen ihr zwischendurch Gedanken in den Sinn, wofür die Sie dankbar war und die sie unsortiert auf die Liste setzte. Das war völlig untypisch für sie, denn sie war stets ordentlich und strukturiert. Im Normalfalle hätte sie ihre Liste in Kategorien eingeteilt. Doch das war ihr heute völlig unwichtig, sie beobachtete einfach neugierig, was ihr so auftauchte und begegnete. Und musste angesichts dieser Feststellung selbst schmunzeln.  Auch das war ja im Grunde ein Fortschritt und etwas, was es zu würdigen galt: dass sie doch „auch mal fünf gerade sein lassen“ konnte. Stefan  hielt ihr manchmal vor, daß sie immer ´zu´ korrekt und ´zu´ geordnet sei. Bisher hatte sie ihm darin irgendwie auch recht gegeben, obwohl es sie gleichzeitig auch ärgerte, denn irgendwie zeichnete sie das ja auch aus! ´Chaotisch sein könnte sie immer noch lernen, doch wenn man chaotisch war, war es sicher viel anstrengender sich um Struktur und Ordnung zu bemühen´, überlegte sie… ´Doch was hatte das eigentlich mit ihr zu tun? Sie liebte nun mal Ordnung, Struktur, Überblick. Und Stefan mochte das sicher auch, sonst hätte er das anders gewählt und sich eine Chaotin gesucht, wenn ihm das lieber gewesen wäre. Blödes Wort ´zu´. Ohne nachzudenken hatte sie es auf die vor ihr liegende Blockseite gekritzelt. Was heißt schon ´zu´?´.
Lächelnd strich sie es dick durch und schrieb in ihrer für sie typischen schönen Schrift in die nächste Zeile ´Ich bin ordentlich und strukturiert!!!´
Das fühlte sich gut an! Ja, das war sie. Und wenn sie es mal nicht war, war es auch o.k. Ab heute jedenfalls war der Wunsch doch etwas chaotischer oder künstlerischer oder oder… sein zu wollen oder zu müssen …. einfach gestrichen. Basta! Stolz schaute sie auf ihre Liste. Und dann zeichnet sie einen Pfeil darunter, malt ein kleines Herz daneben und schreibt: Ich bin froh und dankbar, genau so ordentlich und strukturiert zu sein, wie ich bin!

Lächelnd machte sie sich weiter an ihre Arbeit.

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