Auf ihrem Nachhauseweg steigt Joanna am Marienplatz aus und geht etwas schneller als sonst die Promenadenstraße entlang, biegt zweimal ab und steht schon vor ihrem Ziel: einem traditionellen Papierwarengeschäft in der Prannerstraße, um ganz in die Welt des Papiers einzutauchen.
In gewisser Weise fühlte sie sich wie ein Kind. Vielleicht deshalb, weil sie „Vorfreude bei einem Einkauf“ aus ihrer Kindheit sehr gut kannte und erst in den letzten Jahren beim täglichen Rechnen, Geldzählen, Preise vergleichen und der täglichen Jagd, um die günstigsten Angebote auch ja noch zu ergattern, verloren hatte.
Als Kind wusste sie genau, was sie für ihr Taschengeld kaufen wollte und hatte auch stets das gekauft – ohne sich je von Billigangeboten davon abbringen zu lassen. Ohnehin entfiel es ihrer Erinnerung, daß damals schon derart mit billigen und noch billigeren Angeboten geworben wurde; vielleicht war das früher auch noch nicht so.
Schnäppchen und Schnäppchenjäger waren damals und besonders in ihrer Familie alles andere als „in“. Im Gegenteil. Obwohl Geld in ihrer Familie noch nie ein Überflussthema war, wäre es unangenehm oder gar peinlich angesehen gewesen, um Preise zu feilschen. Wenn man sich etwas nicht leisten konnte, dann leistete man es sich nicht. Oder sparte darauf hin. An ihre erste größere Investition, auf die sie lange Zeit hin gespart hatte, erinnerte sie sich noch immer genau. Und wie stolz sie dann darauf war: auf ihre erste Stereoanlage. Wahrscheinlich war sie vor allem deshalb erst so stolz darauf, weil sie so lange davon geträumt und immer wieder Taschengeld zu Seite gelegt hatte. Es steigerte die positive Erwartung, die Vorfreude und schließlich das „hach, endlich-geschafft!“-Gefühl.
Seltsam wie sich manche Dinge änderten… obwohl es vorher auch nicht nur schlechter war. Heute war man „blöd“, wenn man nicht den besten Preis ergatterte, und selbst der gehörte morgen auch schon wieder zum ´alten Eisen´. Und wo blieb der ganze Spaß, die kindliche Vorfreude, das bewusste Auswählen, der Stolz genau ´seins´ gefunden zu haben? Egal, heute hatte sie ja genau das wieder entdeckt.
Sie war stolz und erfüllt. Schon lange hatte sie sich nicht mehr – auch nicht bei den kleinen Dingen im Alltag – so bewusst etwas besonderes gegönnt, in dem Bewusstsein, daß sie „besonders“ war und „besonderes“
verdient hatte. Dabei würde eine einmalig etwas höhere Ausgabe auch bei 20 Euro ihre Existenz nicht gefährden und dennoch hätte sie sich genau dies – eine höhere als notwendige Ausgabe – zuvor nicht „erlaubt“. Ihre Freude, ihr Gefühl – so unbeschwert, frei und leicht – fühlte sich so wunderbar an. Wie Geburtstag. An einem ganz normalen Tag! Nur weil man sich „erlaubte“ sich nicht zu zügeln, zusammenzureißen, zu sparen, zu verzichten…. sondern sich genau das zu gönnen, was einem an den kleinen Dingen im Leben wichtig war.
Sie spürte ihr Herz klopfen, während sie noch vor dem Geschäft stand und die Auslagen bestaunte.
Dieses Geschäft verkörperte Tradition. Und Liebe zum Papier. Und Erfolg.
Drei Dinge, die ihr für ihre zukünftige Entwicklung wichtig waren: Sie wollte ihre Werte leben und das machen, was sie liebte. Und natürlich Erfolg haben! Auch wenn sie im Moment alleine bei dem Gedanken „Erfolg“ weiche Knie verspürte… aber genau daran würde sie ja noch „arbeiten“. Entschlossen betätigte sie den Türgriff, öffnete die Tür und betrat „ihr“ Geschäft.