„Dankbarkeit bedeutet nicht, sich mit allem zufrieden zu geben.
Vielmehr: zu erkennen wofür man von Herzen dankbar ist.
Und das, wofür man noch nicht aufrichtig dankbar sein kann, in Dankbarkeit zu verwandeln.“

Der Abend war noch wie gewöhnlich verlaufen. Nach dem Abendessen wurde aufgeräumt, die Schulsachen vorbereitet und noch etwas gemeinsam im Bett mit den Kindern gelesen. Danach schaute Konstanze mit ihrem Mann Andreas noch fern. Sie waren beide erschöpft und gingen früh zu Bett. Doch Konstanze konnte einfach keinen Schlaf finden.

In ihrem Kopf kreisten die Gedanken unaufhaltsam weiter. Ihr Unmut machte keinen Halt davor, daß sich alles immer um diejenigen drehte, die weniger hatten und denen es scheinbar schlechter ging. Wie es in ihr aussah, hatte noch nie jemanden wirklich interessiert. Sie hatte ja immer alles. Gleichzeitig schämte sie selbst sich für diese Gedanken und fühlte sich obendrein schuldig, daß sie so egoistisch dachte, so wenig Mitgefühl hatte und sich bei all dem Reichtum immer noch zu beschweren wusste. Während sie sich ihren dunkelsten Gedanken hingab, konnte sie die Stimmen ihrer Eltern ganz genau hören – so als hätten sie sie in ihrem innersten Selbstdialog gehört und auf frischer Tat ertappt: „Es kann sich eben nicht immer alles um Dich drehen!“

Pah! Als hätte sich schon jemals alles um sie gedreht! „Reicht das denn immer noch nicht?“ Und dabei sah und fühlte sie sich noch immer als 12-jährige pubertierende, scheinbar verzogene Göre. Sie hatte noch nie Wert auf die edelste Reitausrüstung oder teure Privatstunden gelegt. Ihr ging es einfach um das Reiten, um das Zusammensein mit den Pferden, draußen in der Natur zu sein. Statt dessen fand sie sich regelmäßig bestens gekleidet mit adretter Zopffrisur in Reitturnieren, die für sie keinerlei Bedeutung hatten, jedoch schon früh in ihrer Kindheit Stress und Versagensängste auslösten. Natürlich wollte sie ihre Eltern nicht enttäuschen und – wenn schon, denn schon: gut abschneiden und als Gewinnerin glänzen. Doch sonderlich talentiert war sie wohl einfach nicht. Oder tatsächlich zu wenig ehrgeizig, wie ihr regelmäßig vorgehalten wurde. Und natürlich machte man das alles nur für sie. Nur sie selbst hatte nie das Gefühl, daß es dabei je wirklich um sie ging. Entweder ging es darum, verpasste Gelegenheiten der Eltern nachzuholen oder darum als Vorzeigetochter das Ansehen der Eltern aufzuwerten.
„DU hast doch nun wirklich alles, was man sich wünschen kann!“ hallte es vorwurfsvoll in ihren Ohren.
Nun was hatte sie denn? Einen Mann, der sie wohl liebte – auch wenn sie dies im Alltag kaum so wahrnahm. Ein Mann, der mit seinem grandiosen Verdienst damit auch die meiste Zeit beschäftigt und unterwegs war. Und der, wenn er dann da war, nie wirklich da war. Er lebte in seiner eigenen Welt. Einer Welt, in der sie nicht mitreden konnte und die sie angeblich nicht verstand, was sie regelmäßig zu spüren bekam. Oder sie verstand diese Welt einfach tatsächlich nicht. Und sie lebte in ihrer Welt, die gar nicht so traumhaft war, wie alle immer gerne meinten. War das überhaupt ihre Welt?

Im Grunde, konnte sie auf einiges verzichten und dennoch erfüllter leben, dachte sie sich jetzt. Wenn sie nur wüsste, was sie erfüllte…oder was ihr fehlte. Sie wusste es selbst nicht. Vielleicht weil sich schon viel zu lange nichts mehr wirklich um sie gedreht hatte.