„Das Geschenk – zu spüren, wofür man wirklich von Herzen dankbar ist – erfährt man dann, wenn man sich der eigenen Zufriedenheits-Selbstlüge erfolgreich entlarvt und entledigt hat“

An diesem Abend kam Konstanze aufgewühlt nach Hause. Das Gesprächsthema bei Alexandra hatte etwas in ihr berührt. Und nun grummelte es in ihr.
Unnötig lauter als sonst deckte sie den Tisch für das Abendessen mit ihrer Familie und machte sich daran einen Brotzeitteller zuzubereiten.

Natürlich konnte sie dankbar sein; und war das ja auch. Hatte sie doch im Grunde alles, was sie wollte: einen Mann, zwei gesunde tolle Kinder, ein schönes Haus, mehr als ausreichend Geld, so daß es an nichts fehlte.
Und genau das war es leider auch, was sie stets zu hören bekam, wenn sie mal ansatzweise von sich sprechen wollte, von ihren Selbstzweifeln, ihren Ängsten ihr Leben zu verwirken, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten verkümmern und gute Möglichkeiten ungenutzt zu lassen: „Ihr habt doch alles! Du musst Dir doch gar keine Sorgen machen!“
Wenn man Geld hatte, hatte man keine Probleme in dieser Gesellschaft. Und man hatte sie auch nicht zu haben. Und wenn man trotz ausreichend Geld Probleme hatte… dann war einem eben nicht mehr zu helfen. Selbst schuld.

Allenfalls bekam man ein verständnisloses „Deine Probleme hätte ich gerne!“ Zu steigern war dies nur noch mit Leidensgeschichten von Menschen, die man gar nicht kannte, denen es aber gerade wirklich schlecht ging, gekrönt mit einem abschließenden „Da kannst Du erst gar nicht mitreden, wie das ist! Die haben echte Probleme!“
Um sich derlei Erniedrigungen zu sparen, hatte sie sich längst angewöhnt ihre zuweilen gefühlte Leere und ihren Frust, den sie manchmal eben dennoch hatte und ja selbst auch nicht so richtig verstand, lieber für sich zu behalten und davon abzulenken. „Echte Probleme“ hatte sie ja tatsächlich nicht. Doch selbst das kam ihr nicht ausschließlich wie ein Geschenk vor. Immerhin war man mit `echten Problemen´ nicht nur anerkannt, ernst genommen und von allen Seiten jederzeit gerne unterstützt, sondern man hatte etwas – ein echtes Problem eben – das man zu meistern hatte; eine Herausforderung, etwas wofür es sich lohnte zu kämpfen und worauf man irgendwann stolz sein konnte. Mit echten Problemen hatte man eine Perspektive, also ein klares Bild davon, wie der begehrte Zustand nach Lösung des Problems sein könnte.

Mit unbegründeter Unzufriedenheit hatte man dagegen nicht nur kein `echtes Problem´ und entsprechend wenig Verständnis und Unterstützung, sondern auch keine klare eigene Perspektive einer Lösung. Es fehlte einfach gänzlich Klarheit – sowohl dazu, was genau das Problem überhaupt war, als auch dazu, wie ein wesentlich verbesserter Zustand sein könnte… So schob man auftauchende Unzufriedenheit einfach weg, mal mehr mal weniger erfolgreich.

Vielleicht lag die Lösung ja tatsächlich darin, sich selbst erst mal ehrlich und ungeschminkt all dessen bewusst zu werden, womit man sich bisher `zufrieden´ gegeben und abgefunden hatte. Das war tatsächlich etwas ganz anderes als echte fühlbare Dankbarkeit. Puh… da würde sie sich einiges einzugestehen haben, soviel war jetzt schon klar und in konkreter Unruhe spürbar.
Doch vielleicht bekam man nur so – indem man sich der eigenen Zufriedenheits-Selbstlüge erfolgreich entlarvt und entledigt hatte – dieses Geschenk: zu spüren, wofür man wirklich von Herzen dankbar war.

Während ihre Gedanken unkontrolliert in ihr hin- und her-flatterten, hatte sie fast mechanisch die Auswahl an frischer Wurst vom Markt, verschiedene Käsesorten, Gemüse und Saucen auf einem Tablett angerichtet und war nun dabei den Salat gedankenverloren zum vierten Mal zu waschen.

Es würde Überwindung kosten, dieser möglichen Unzufriedenheit nun bewusst Gehör zu schenken. Immerhin hatte man diese jahrelang erfolgreich immer wieder weggedrückt. Zum anderen war da auch Angst. Vielleicht tauchte mehr auf, als sie bisher geahnt hätte? Was, wenn Sie feststellte, daß es nur wenig gab, wofür sie aufrichtig dankbar war? Und das meiste nur auf der „Damit-gebe-ich-mich- zufrieden“-Liste landete?

„Nein! Das würde schon nicht so sein“, beruhigte sie entschlossen ihren Verstand, während sie unnötig fest die Tomaten mit dem Messer teilte und mit jedem Schnitt eine neue Furche im Küchenbrett hinterließ.

„Ich werde mir einfach die Zeit und Muse nehmen alles ehrlich zu konfrontieren“, führte sie ihren inneren Dialog fort „… und dann…sehe ich einfach weiter.“

Ein mutiger erster Schritt, wie sie selbst feststellte. Etwas erleichtert erledigte sie die letzten Vorbereitungen für das gemeinsame Abendessen. Sie fühlte fast so etwas wie stolz in sich aufsteigen. Dabei hatte sie noch gar nichts getan. Vielleicht war es nur dieses Wissen, dieser Pakt mit sich selbst, sich in den eigenen Bedürfnissen und Befindlichkeiten nun endlich ernst zu nehmen. Egal, was sich da zeigte: es waren ihre ehrlichen Bedürfnisse, ihr Empfinden, ihr Leben. Sie war es wert, sich selbst ernst zu nehmen, ganz gleich was andere darüber denken, sagen oder urteilen würden! Bei dem Gedanken musste sie lächeln… wie dumm man doch manchmal war… und wie unbewusst man auch als Erwachsene immer noch in kindlichen Haltungen, Reaktionen und Gewohnheiten festhing….

Schließlich war sie es niemandem schuldig „zufrieden sein zu müssen“. Allenfalls sich selbst war sie es schuldig geblieben, sich das Seelenglück zu erschließen, von dem sie schon immer spürte, daß es möglich und erstrebenswert war – unabhängig von materiellem Reichtum. Im Grunde war es schon immer da. In ihr. Es wartete nur darauf, entdeckt zu werden. 

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